Neue Kinderkrankheit – Sprachstörung

Wie die gesetzliche Krankenkasse Barmer aufgrund interner Untersuchungen feststellte, leiden über eine Million Kinder an Sprachstörungen. Damit ist circa jedes zehnte Kind unter 14 Jahren von dieser Entwicklungsstörung betroffen. Bei Kindern im Vorschulalter kommt dies sogar bei fast dreißig Prozent aller Kinder vor. 38 Prozent aller Jungen und 30 Prozent aller Mädchen unter sechs Jahren, haben eine, meist vorübergehende, Sprachstörung. Als Grund für die hohen Zahlen sehen die Analysten der Barmer einerseits „hohe Diagnoseraten“, andererseits habe sich in den vergangenen Jahren die Sensibilität von Eltern und Erziehern für Abweichungen bei der Entwicklung der Kinder erhöht, was zu häufigeren Behandlungen durch Logopäden führt. Problematisch ist, dass es für die Entscheidung, ob eine echte Sprachstörung vorliegt, noch immer keine einheitlichen Kriterien für eine Diagnose gibt. Nach Meinung von Thomas Grobe, Mitarbeiter des Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung (ISEG), gibt es für Sprachentwicklungsstörungen „Abgrenzungsproblem“, die vermutlich dazu führen, dass ähnlich wie bei ADHS, zu viele Kinder unnötig als „krank“ therapiert werden. So führte das Bekanntwerden einzelner Merkmale der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) dazu, dass inzwischen fast zehn Prozent aller Jungen und sechs Prozent aller Mädchen von Neurologen oder Psychiatern wegen ADHS betreut werden. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich bereits seit einigen Jahren für Sprech- und Sprachstörungen ab. Führende Mediziner bezweifeln, dass wirklich diejenigen Kinder eine Therapie erhalten, die diese benötigen. Statt dessen würden eher Kinder behandelt, deren Eltern eine Behandlung fordern. Zwar sollte im Falle eines Verdachts auf ein Sprachproblem durchaus ein Arzt zu Rate gezogen werden, doch sollten gerade Eltern von Vorschulkindern bedenken, dass die Geschwindigkeit mit der Kinder die einzelnen Entwicklungsphasen durchlaufen verschieden sind und die meisten Sprech-„Störungen“ nur Teil des Lernprozesses sind, wenn Kinder versuchen schneller zu sprechen, als sie aufgrund ihrer Fähigkeiten bereits können.